meine Kindheit

Meine Kindheit verlief durch die Erkrankung an Kinderlähmung im Alter von 2 ½ Jahren doch etwas anders als der Durchschnitt. So habe ich an diese Zeit, als es passierte, keinerlei Erinnerungen. Ich versuche, dabei zu unterscheiden zwischen eigenen Erinnerungen und dem, was mir meine Eltern von dieser Zeit berichteten. Meine Mutter erzählte mir, ich musste nachts aufs Töpfchen und bin dann nicht mehr aufgestanden. Sie dachte, ich mache wieder Blödsinn, hob die Stimme, bis sie langsam begriff, dass etwas Ungewöhnliches passiert sein musste. Ab diesem Moment war ich dann gelähmt, diagonal über den ganzen Oberkörper, der rechte Arm war das einzige neben dem Kopf, was verschont blieb. Ich kam ins Krankenhaus, später ging dann die Lähmung bis auf die Hüftgelenke zurück. Und dabei ist es bis heute geblieben.

Das Erste, woran ich mich erinnere, ist ein Besuch meiner Eltern und der Großeltern am Krankenbett und irgendwie war es ganz wichtig für sie, dass sie mir Zitronen mitgebracht hatten. Der Vitamine wegen, aber ich verstand das nicht, und darüber waren sie sauer. Später hatte ich erfahren, dass es äußerst schwierig war, in dieser Zeit in der DDR Zitronen zu bekommen. Auf dem Foto bin ich mit meiner Schwester in der Vorweihnachtszeit im Alter von 6 Jahren zu sehen

Im Krankenhaus wurde darauf geachtet, dass eine Essensreihenfolge eingehalten wurde, also den Salat durfte ich erst nach dem Hauptgericht essen. Und alles wurde nur mit einem großen Löffel gegessen. Wieder zu Hause, stießen diese Essmanieren auf Unverständnis und auch der Umstand, dass ich noch nicht mit Messer und Gabel essen konnte. Meine 2 Jahre jüngere Schwester, die das schon konnte, zog mich damit auf.

Kaum hatte ich mich etwas zu Hause eingewöhnt, musste ich wieder in eine Klinik oder ein Sanatorium. Insofern hatte ich auch kaum Heimweh. Ich erinnere mich, dass es in dieser Zeit ein heftiges Gewitter gab, der Himmel war schwarz, es war abends und alle Kinder in dem großen Krankenzimmer (6 - 10 Betten) lagen schon im Bett. Plötzlich wurde es in dem großen Raum ganz hell, ein Kugelblitz war durch die Wand hereingekommen, hing einen Moment zwischen den Betten in der Luft, um dann in der Steckdose zu verschwinden. Es war atemlos still für einen Moment, bis alle Kinder zu schreien anfingen. Sofort kam eine Krankenschwester und alle redeten durcheinander. Als sie die verkohlte Steckdose sah, wurde sie blass und verließ das Zimmer. Dann kam ein Pfleger und hatte uns beruhigt. Ein anderes Schlüsselerlebnis fällt auch in die Zeit, als ich so 6 oder 7 Jahre alt war. Meine Eltern waren abends ausgegangen und meine Schwester und ich waren der Meinung, einen Puppenherd auf der wollenen Tischdecke im Wohnzimmer mit Papier zu bestücken, anzuzünden und Wasser zu erhitzen. Als meine Eltern zurückkamen, den Brandgeruch und die Papierasche im Wohnzimmer wahrnahmen, fielen sie aus allen Wolken. Wir hatten unser Versprechen, keinen Unfug anzustellen, nicht gehalten. Die Strafe folgte auf dem Fuße. Meine Schwester war so clever und heulte schon vorher los, so dass sie um die Strafe herum kam, obwohl sie der Anstifter war. In der Erinnerung geblieben ist, dass meine Schwester öfters Ärger fabrizierte und ich durfte es dann ausbaden.

Wir beide verstanden uns soweit ganz gut. Wir stritten uns und wir liebten uns. Wir hatten beide zusammen ein großes Stoffschwein, das mit Stroh gefüllt war. Zig mal geflickt, ging es wohl irgend wann nicht mehr zu flicken. Mein Vater bescherte diesem armen geschundenen Schwein eine Feuerbestattung im Badeofen in unserem Beisein. Wir heulten wie die Schlosshunde und ich glaube, wir haben unseren Vater auch eine ganze Weile gehasst deswegen.

Erinnern an die frühe Kindheit – automatisch denke ich an: „Ein Haps für Oma – ein Haps für Opa“ und wenn das nicht half, der Schokopudding zwischen den Happen des Hauptgerichts. Ich muss ein schlechter Esser gewesen sein. Ich denke, dass ich heute zu dick bin, habe ich z.T. auch meinen Eltern zu verdanken. In ihrem Leben spielen Essen und gute Tischmanieren eine große Rolle, auch heute noch. Im positiven habe ich davon profitiert, dass ich gut kochen kann und in der Hausarbeit relativ selbständig bin.
Ich im Alter von 8 Jahren beim Opa auf dem Bauernhof mit einem Karnickel im Arm
Von 1960 bis 1964 war ich in der orthopädischen Klinik mit angeschlossener Schulbildung in Birkenwerder bei Berlin. Diese Zeit hat mich doch in vielem geprägt und viele Erinnerungen sind aus dieser Zeit. Viel Blödsinn hatten meine Kumpels und ich angestellt, öfters stand meine Entlassung auf der Tagesordnung. Meine Eltern, die mich ein bis zweimal im Monat dort besuchten, mussten die Klinikleitung wieder umstimmen und das Spielzeug, dass sie mir mitbrachten, nahmen sie dann wieder mit. Das fand ich nicht so gut, es hielt mich aber nicht davon ab, wieder irgendeinen Unfug auszuhecken.

In den Sommerferien verbrachten wir jedes Jahr mehrere Wochen bei den Großeltern an der Ostsee. Die Eltern meiner Mutter wohnten in der Nähe von Wismar. Beeindruckend war der Opa, optisch groß und dick, immer lustig und seine Hefeklöße waren bisher einmalig in meinem Leben. Opa und der Rest der Familie aßen gerne Käse, aber nicht die Oma. Wir hatten teil an dem Geheimnis, wo der Käse versteckt war. Und irgendwie schmeckte dieser Käse immer besonders gut. Und der Opa konnte ohne Trompete richtig trompeten zur Marschmusik. Das war beeindruckend. Die Oma nervte wegen der Zeugnisse, wenn die Zensuren mal nicht so waren und umgekehrt würden wir Doktor werden, wenn die Noten gut waren.

Deswegen war ich lieber bei den anderen Großeltern zu Besuch. Die Oma redete nicht viel, hatte aber für alles Verständnis. Sie konnte zuhören und hatte auch immer eine Streicheleinheit parat. Und ihre Rote Grütze mit Vanillesoße war mit das Beste, was es damals für mich gab. Der Opa wusste viel zu erzählen, auch aus dem Krieg und der Kriegsgefangenschaft. Er hatte ein Luftgewehr und brachte mir das Zielen bei. Und er zeigte mir, wie man einem Karnickel das Fell über die Ohren zieht. Ich war damals so verfressen, dass ich dieses Karnickel bis auf die Vorderläufe, die sich die Großeltern teilten, allein aufgegessen habe. Und das in einer Mahlzeit. Ein Wahnsinn, wenn ich heute daran zurückdenke.

Die Sturheit vom Opa war auch beeindruckend. Er brachte mir bei zu sagen, wenn die Decke weiß ist und du sagst, die Decke ist schwarz, musst du solange sagen, die Decke ist schwarz, bis die anderen das auch sagen. Das hat zwar nicht geklappt, aber des Opas Streitereien mit meinem Vater zum Beispiel sind mir in Erinnerung geblieben.

© PM